Magazin Lübecker Bucht - Dezember 2025
INTERVIEW / BLOG MAGAZIN LÜBECKER BUCHT 92 Sie lachen gern und wirken immer gut gelaunt? Waren Sie schon als Kind so fröhlich? Auch ich bin nicht immer gut drauf und habe schlechte Phasen in meinem Leben, aber ich versuche immer das Beste daraus zu machen. Als Kind habe ich gelernt, dass man mit Spaß viel weiter kommt im Leben. Lieber habe ich noch mal einen Witz raus- gehauen und wir haben dann zusammen gelacht, als dass über mich aufgrund mei- ner Behinderung gelacht wird. Sportlich sind Sie schon immer gewesen. Angefangen hat Ihre Sportkarriere mit Fußball. Wie sind Sie zur Leichtathletik und dem Speerwurf gekommen? Ich habe immer Fußball gespielt und mit meinen Kumpels bei einem Hobby-Fuß- ballturnier ein Dorf weiter mitgemacht. Dort kam dann mein ehemaliger Entde- cker Herbert Hessel auf mich zu und sprach mich an. Er war damals Landes- trainer von Nordrhein-Westfalen für den Paralympischen Sport im Bereich Leicht- athletik und fragte mich, ob ich nicht Lust hätte, einfach mal zu einem Probetraining nach Leverkusen mitzukommen. Da ich ein sportbegeisterter Mensch bin, sagte ich zu. So bin ich dann 2005 nach Leverku- sen gefahren und hab von meiner damali- gen Trainerin Steffi Nerius den Speer in die Hand bekommen. Ich habe das Ding dann geworfen. Steffi sagte: „Wow, da ist Zug im Arm. Wir melden uns.“ Und so ging das dann los. Ihre Sportkarriere haben Sie beendet. Sie sehen aber immer noch sehr fit aus. Wie trainieren Sie heute? Ja, ich habe im Sommer 2021 nach mei- nem Europameistertitel meine Karriere beendet. Ob ich noch sportlich bin, würde ich mit na ja beantworten. Vielleicht habe ich gute Gene mitgenommen. Ich versu- che, mich fit zu halten und spiele aktuell Golf, ein bisschen Fußball und Basketball mit den Jungs. Aber nicht mehr auf Leis- tungsebene und das tut mir sehr gut. Aber klar, mein Sixpack hätte ich doch schon gerne irgendwann mal wieder zurück (lacht). Bisher ist es nur gut versteckt. Sie haben zahlreiche Weltmeister-Titel erlangt, was war ich schönster sportli- cher Moment? Ich habe Weltmeister- und Europameister- titel gewonnen und bin paralympischer Sil- bermedaillengewinner geworden. Aber mein größter sportlicher Moment ist gar nicht der Gewinn einer Medaille, sondern: Ich durfte in London vor 80.000 Menschen an den Start gehen. Dort habe ich im letz- ten Versuch beim Speerwurf meine Kräfte gebündelt. 80.000 klatschende Zuschauer haben mich angefeuert. Ich bin dann an- gelaufen und habe das Ding rausgepfef- fert. Es war tatsächlich für mich in dem Wettkampf der weiteste Versuch. Der hat aber nach vorn hin leider nichts mehr ge- bracht. Das war aber ein Moment, den mir keiner mehr nehmen kann. Inzwischen hat man Sie häufig bei unterschiedlichen Fernsehformaten gesehen und ein Buch mit dem Titel „Klein anfangen, groß rauskommen“, haben Sie geschrieben. Was planen Sie für die Zukunft oder lassen Sie sie einfach auf sich zukommen? Ich finde das alles total spannend und bin natürlich sehr froh, dass ich nicht in ein Loch gefallen bin. Für mich ging es direkt weiter. Ich bin sehr dankbar und sehr stolz darauf, dass ich all das erleben durfte und hoffentlich noch viel mehr. Ein neuer Lebensabschnitt beginnt und ich freue mich auf jede Herausforderung. Sie machen immer den Eindruck, dass Sie sehr gut damit zurechtkommen, kleinwüchsig zu sein? Gibt es Momente, in denen Sie sich wünschen, der „Norm“ zu entsprechen? Tatsächlich ist es so, dass ich jetzt im All- tag sehr gut damit klarkomme und ich würde auch niemals tauschen wollen. Denn sonst hätte ich all das, was ich bisher erlebt habe, nicht erlebt und das möchte ich niemals missen. Aber klar: Im Alltag bin ich schon an meine Grenzen gestoßen, gerade im Thema Liebe z. B. wenn man dann aufgrund seiner Körpergröße abge- lehnt wird, dann ist das natürlich gerade im jungen Alter sehr extrem. Für mich ist es so: Ich werde meine Größe nicht ändern können. Irgendwann im Alter spielt sie ohnehin keine Rolle mehr und es kommt auf andere Werte an. Das habe ich gelernt. Woran mangelt es in Deutschland besonders, denken Sie an Inklusion? Bezüglich Inklusion im Sport kann ich ei- niges erzählen. Da sind wir immer noch nicht da, wo wir eigentlich sein sollten. Es gibt andere Länder, die deutlich weiter sind. Dort ist es egal, ob du paralympischer oder olympischer Sportler bist. Alle sind Vertreter eines Landes, alle geben ihr Bes- tes und kommen als Helden wieder. Das ist hier leider noch nicht so. Hier wird immer noch sehr differenziert. Es gibt Olympia und die Paralympics kommen dann auch noch. Man müsste einfach mal ein Zeichen setzen. Natürlich ist eine Zusammenle- gung beider Spiele aus organisatorischen Gründen schwierig. Aber wie wäre es, wenn man einen Switch macht, also zuerst die Paralympics und dann erst Olympia. Gesellschaftlich und wirtschaftlich ist In- klusion auch noch ein großes Thema. Hier wird an alten Strukturen festgehalten und es wird sich nicht getraut, etwas Neues auszuprobieren. Dabei ist es doch viel tol- ler, wenn man gemeinsam zum Erfolg kommt. Ob man eine Behinderung hat oder nicht, ist doch scheißegal! Sie machen sich gern über sich selbst lustig und posten häufig Clips auf Social Media. Nehmen andere kleinwüchsige Menschen Ihnen nicht manchmal einiges übel? Ich bin so wie ich bin und ich finde es total wichtig, dass man über sich selbst lachen kann. Ich glaube, dass ich damit sogar ein Stück weit Barrieren zum Fallen bringen kann. Das merke ich, weil ich einfach als ein ganz normaler verrückter Vogel wahr- genommen werde. Natürlich kann ich mir vorstellen, dass es einigen kleinwüchsigen Menschen nicht gefallen wird. Aber ich mache mich ja nicht über andere Klein- wüchsige lustig, sondern über mich selbst und wem das dann nicht gefällt, der soll mir einfach nicht folgen. Spaß ist wichtig, das Leben ist zu schade, um mit seiner Be- hinderung zu hadern. Also einfach das ma- chen, woran man Spaß hat. Let’s go. Sie sind zu Gast beim UNICEF-Talk am 4. Dezember in Timmendorfer Strand. Worauf dürfen sich die Gäste freuen? Die Menschen dürfen sich auf einen tollen Abend freuen. Ich freue mich auf einen lo- ckeren Austausch mit allen und besonders freue ich mich darauf, viele Menschen ken- nenlernen zu dürfen. Vielleicht schaffe ich es ja noch, den ein oder anderen zu inspi- rieren und zu motivieren. Das hoffe ich na- türlich sehr. Wenn Sie einen Wunsch frei hätten, worüber würden Sie sich persönlich am meisten freuen? Puh, was würde ich mir wünschen, wenn ich einen Wunsch frei hätte. Das ist schwierig. Ich glaube, ich bräuchte zwei Wünsche. Einmal würde ich mir für mich, meine Familie und meine Freunde ganz viel Gesundheit wünschen. Grundsätzlich würde ich mir wünschen, dass wir irgend- wann nicht mehr über Inklusion sprechen, sondern sie leben. IM TALK MIT MATHIAS MESTER © Foto: Mathias Mester / Mina Entertainment GmbH
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