Magazin Lübecker Bucht - Dezember 2025
MAGAZIN LÜBECKER BUCHT 93 DUELL AN DER KASSE © Illustration: mast3r / depositphotos.com Die Schlange an der Supermarktkasse wird länger, und man spürt, wie die all- gemeine Stimmung langsam kippt. Kein Wunder: Es ist der vorweihnacht- liche Einkaufswahnsinn. In der Mitte steht ein Mann Ende vierzig, ordentlich im Schlips, der schon ungeduldig die Kassiererin gebeten hat, eine zweite Kasse zu öffnen. Der Tonfall hat ein- deutig verraten: Er hat keine Zeit. In mir steigt sofort Anspannung auf. Jetzt be- ginnt das taktische Denken. Soll ich mich schon mal vorsorglich Richtung leerer Kassenbereiche bewegen, in der Hoffnung, rechtzeitig dort zu sein, wenn die neue Kasse tatsächlich öffnet? Oder bleibe ich lieber hier und verteidige meinen Platz? Es sind schließlich nur fünf Kunden vor mir, die ihren Wagen natürlich randvoll mit Lebkuchen und Zimtsternen gepackt haben. Das wirkt machbar… zumindest theoretisch. Ich schaue mich um: Die anderen haben genau denselben Ausdruck im Gesicht. Dieser typische Vor-Weihnachtsblick, eine Mischung aus Stress, Müdigkeit und leichtem Plätzchenzuckerschock. Niemand will seinen Platz aufgeben, aber jeder will bereit sein, falls sich die Chance auf einen schnellen Kassen- wechsel ergibt. Man könnte fast mei- nen, wir würden alle still dasselbe durchrechnen: Risiko gegen mögliche Zeitersparnis. Ein bisschen wie Lotto, nur ohne Jackpot und mit größerer Wahrscheinlichkeit, enttäuscht zu wer- den. Eigentlich wäre es ja schön, wenn einfach derjenige als Erster bedient würde, der am längsten wartet. Ganz unkompliziert. So läuft es in manchen Ländern tatsächlich, und es klingt nach einer zivilisierten Lösung. Doch hier bleibt alles beim Alten. Und während ich noch überlege, höre ich schließlich das unvermeidliche Ping der sich öff- nenden zweiten Kasse. Es ist dieser Moment, in dem alle so tun, als wären sie ganz entspannt – während in Wahr- heit ein inneres Wettrennen läuft. Ich starte den Versuch einer eleganten Seitwärtsbewegung zur neuen Kasse, doch drei andere waren schneller. Am Ende stehe ich wieder genau da, wo ich vorher stand – nur mit etwas weniger Selbstachtung. Dafür habe ich jetzt aber immerhin Zeit, meinen Schoko- Weihnachtsmann wieder vom Boden aufzuheben. pa Magazin
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